Zehn Vorteile des 4-Stufen-Modells

Das vorgeschlagene Reformmodell kennt keine Verlierer, sondern nur Gewinner. Es bietet für alle an der Juristenausbildung beteiligten Personen und Institutionen eine Vielzahl von Vorteilen, von denen im Folgenden die wichtigsten zehn ausführlich beschrieben werden sollen.

 

Vorteil 1: Für die Bestenauslese beim Berufseinstieg stehen mindestens zwei theoretische und vier praktische Leistungsbewertungen zur Verfügung, die die gesamte Studien- und Ausbildungsleistung wiedergeben.

Neben dem Einheitlichen Juristischen Staatsexamen, das punktuelles Wissen und punktuelle Leistungsfähigkeit in der auch zeitlich anspruchsvollen Prüfungssituation und zum Abschluss der theoretischen Ausbildung (Theorie des Rechts und Theorie der Rechtspraxis) prüft, werden erstmals die kontinuierlichen Studienleistungen des vierjährigen Studiums durch die eigenständige Note des Baccalaureus gewürdigt.

Hinzu kommen die vier Zeugnisse aus dem juristischen Vorbereitungsdienst, die sich jeweils auf volle drei Monate Tätigkeit beziehen und damit aussagekräftiger sind als die Zeugnisse heutiger Stationen, in denen wegen der intensiven Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen häufig nur wenig und manchmal sogar überhaupt keine praktische Leistung erbracht wird. Bei vielen Absolventen wird zusätzlich noch ein Magister Juris oder Master of Laws das Leistungsprofil vervollständigen.

Verglichen mit dem heutigen Stand stünden bei der Bestenauswahl trotz Verzichts auf das zweite Staatsexamen für die Einstellung in die reglementierten juristischen Berufe und die Bewerbung innerhalb der Anwaltschaft weitaus umfassendere Informationen über die Leistungsfähigkeit des Bewerbers zur Verfügung als bisher in zwei Staatsexamensnoten zum Ausdruck kommen konnten.

 

Vorteil 2: Der Baccalaureus Juris erfüllt die zu Recht erhobene Forderung der Hochschulen, dass derjenige, der unterrichte, auch prüfen müsse.

In der Diskussion um die faktische Dominanz des Repetitoriums in der Juristenausbildung wird von Hochschulseite immer wieder vorgebracht, dass nicht die mangelnde Qualität der Hochschulausbildung für die Verlagerung der juristischen Ausbildung auf Repetitorien verantwortlich sei, sondern vor allem die Tatsache, dass nicht derjenige prüfe, der auch unterrichte. Wäre es anders, würden die Studierenden auch das Studium und das Angebot der Hochschulen ernster nehmen und dessen Qualität erkennen.

Dieser berechtigten Forderung wird mit der Schaffung des Baccalaureus Juris als erstem Abschluss umfassend Rechnung getragen. Die Studierenden werden sich vermehrt an der Hochschule engagieren, um die entsprechenden Noten für den Baccalaureus zu erlangen. Während es bisher aufgrund der Dominanz von zwei Staatsexamen und in Ermangelung eines eigenen Hochschulabschlusses von untergeordneter Bedeutung war, welche Leistungen der Student oder die Studentin an der Hochschule erbracht hat, wird sich dies mit der Aufwertung des Hochschulstudiums durch einen eigenen Abschluss ändern. Damit wird zugleich die Qualität der wissenschaftlichen Ausbildung honoriert und die Autonomie der Hochschulen gestärkt. Der Hochschulabschluss mindert zudem entscheidend den psychologischen Druck auf den Einzelnen, dass einzig zwei Prüfungswochen über die persönliche Zukunft entscheidet.

 

Vorteil 3: Die Ausbildungsdauer wird nicht verlängert, sondern im Regelfall sogar verkürzt.

Der durchschnittliche Volljurist wird somit nach vier Studienjahren zum Baccalaureus plus einem halben Jahr Staatsexamen plus einem Jahr Referendariat = nach fünfeinhalb Jahren bereit für den Berufsstart sein. Rechnet man noch ein zusätzliches halbes Jahr für die intensive Phase der Examensvorbereitung hinzu, sind es 6 Jahre. Der zusätzlich über einen Magister mit Spezialkenntnissen ausgestattete Jurist ist nach 6 ½ bzw. 7 Jahren abschließend qualifiziert, zumeist mit zusätzlicher internationaler Erfahrung. Durch den kürzeren Vorbereitungsdienst und der zu erwartenden leicht abnehmenden Zahl von Absolventen wird es zudem immer ausreichend Ausbildungsstätten für alle Interessenten geben. Lange Wartezeiten auf einen Referendariatsplatz gehören damit der Vergangenheit an. All dies verkürzt die Gesamtstudiendauer, ohne ihr die Qualität zu nehmen. Insbesondere wird nicht die Studienzeit selbst verkürzt. Daher braucht und darf es auch keinen Mut zur Lücke in der Breite geben. Mehr noch als bisher sind Grundkenntnisse der gesamten Rechtsordnung wichtig, ergänzt durch exemplarische Vertiefungen. Denn in die Tiefe gehen kann nur, wer auch weiß, wo er mit dem Bohren anfangen muss.

 

Vorteil 4: Alle Beteiligten sparen Kosten.

Das Argument der Kosteneinsparung alleine rechtfertigt keine Reform. Im Zusammenhang mit den anderen Vorteilen ist es jedoch von Bedeutung. Die Belastung des Staates durch den Vorbereitungsdienst kann praktisch halbiert werden, weil dieser nur halb so lange dauert und aufgrund der gesteigerten Anforderungen des Einheitlichen Staatsexamens weniger Absolventen zum Vorbereitungsdienst zugelassen werden.

Daneben werden die Kosten für das zweite Examen als solches gespart und die Staatsanwälte durch die verstärkten Sitzungsvertretungen entlastet. Die Absolventen können ein Jahr früher in den Beruf gehen, was und den jungen Juristen vorzeitige Verdienstmöglichkeiten bereitet. Zugleich kann wegen der vorhandenen zwei Abschlüsse bereits in der praktischen Ausbildung mit der Bewerbung um die erste Anstellung begonnen werden, so dass im Regelfall keine Zeiten von bewerbungsbedingter Arbeitslosigkeit entstehen. Qualitätssteigerung und Kostensenkung schließen sich somit nicht aus, sondern gehen Hand in Hand.

 

Vorteil 5: Die Schwelle zu den reglementierten juristischen Berufen wird vorverlagert. Wer an ihr scheitert, hat dennoch bereits einen berufsqualifizierenden Abschluss.

Der hohe Anspruch der reglementierten rechtsberatenden Berufe erfordert eine Bestenauslese unter den Kandidaten. Diese darf nicht zu früh (Zulassungsbeschränkungen durch Auswahlverfahren bereits vor Studienbeginn), jedoch auch nicht zu spät erfolgen (Scheitern im zweiten Versuch des zweiten Staatsexamens). Ein anspruchsvolles und praxisnahes einheitliches Staatsexamen ist der richtige Mittelweg.

Er "trifft" die Absolventen spätestens mit Mitte 20. Wer hier scheitert, dem ist der Zugang zu den reglementierten juristischen Berufen versperrt. Dies verringert die auf die Qualität drückende Juristenschwemme unter den Anwälten, ohne jedoch den Zugang zu diesem Beruf willkürlich zu gestalten.

Noch wichtiger ist aber, dass der "gescheiterte" Examenskandidat kein gescheiterter Student ist. Er steht nicht ohne Abschluss da, sondern hat bereits den Baccalaureus als Nachweis eines erfolgreichen juristischen Studiums erlangt, der ihn als durchaus qualifizierten Juristen ausweist, der in vielfältiger Weise juristisch tätig sein kann – nur eben nicht als Rechtsanwalt, Richter, Staatsanwalt, Notar oder im höheren Verwaltungsdienst.

Das psychologische Moment darin sollte nicht unterschätzt werden. Weder geht der Hochschulabsolvent mit leeren Händen in die Staatsprüfung, noch muss er sich bei deren Nichtbestehen als gescheiterter Studienabbrecher in den Arbeitsmarkt begeben.

Wer umgekehrt einen herausragenden Baccalaureus erlangt, aber einen Beruf in der Wirtschaft anstrebt, wird sich sofort mit dem Hochschulabschluss bewerben können und muss nicht das Ergebnis eines ersten oder gar zweiten Staatsexamens abwarten.

 

Vorteil 6: Die Probleme der Anerkennung ausländischer Studienabschlüsse werden gelöst.

Ein ausländischer Bachelor wird wie ein deutscher Baccalaureus anerkannt und berechtigt wie dieser zur Teilnahme an der Einheitlichen Juristischen Staatsprüfung. Zwar sind ausländische Lehrinhalte inhaltlich kaum mit denen des deutschen Studiums vergleichbar, aber dennoch kann sich etwa ein italienischer Bachelor-Absolvent im Einzelfall die nötigen Kenntnisse im deutschen Recht angeeignet haben. Hat er diese nicht, so wird er das anspruchsvolle Staatsexamen nicht bestehen. Hat er aber Erfolg, dann ist der Nachweis erbracht, dass er für den juristischen Vorbereitungsdienst geeignet ist. Mehr noch: Er oder sie wird dank dieser Doppelqualifikation mit besonders großen Chancen in die Berufswelt gehen. Auch Leistungen deutscher Studierender während eines Auslandsstudiums können aufgrund des Leistungspunktesystems im Rahmen des deutschen Baccalaureus anerkannt werden. Auslandssemester werden so zu echten Studiensemestern, die Ausbildung wird internationaler.

 

Vorteil 7: Die Studierenden werden besser auf den juristischen Vorbereitungsdienst vorbereitet und können diesen effektiver gestalten.

Anders als heute würden die Referendare nach Umsetzung des hier vorgeschlagenen Konzeptes bereits mit dem theoretischen Rüstzeug in den juristischen Vorbereitungsdienst gehen, das es ihnen erlaubt, vom ersten Tag an in der Praxis qualifiziert mitzuarbeiten. Da sie sich nicht erneut auf eine theoretische Prüfung vorbereiten müssen, können sie zudem mit vollem Einsatz Praxiserfahrung sammeln. Die Verkürzung des Referendariats ist also in Wirklichkeit eine Verlängerung der tatsächlich in der Praxis absolvierten Arbeitszeit.

Erforderlich ist seitens der Hochschulen eine noch stärkere Praxisorientierung im Bereich der Klausurgestaltung (neben Gutachten auch Urteile, Schriftsätze und Verträge), die jedoch allen zugute kommt. Sie kann durch eine Einbindung derjenigen Ausbilder in die Hochschulausbildung erreicht werden, die diese Lehrinhalte schon heute in den Referendariatsarbeitsgemeinschaften vermitteln. Dadurch wird die Hochschule als Schnittstelle von Theorie und Praxis gestärkt, Professoren bekommen noch mehr Kontakt mit Praktikern und können damit sowohl schneller auf Probleme der Praxis reagieren als auch mit ihren wissenschaftlichen Lösungen noch stärker auf die Anforderungen der Praxis eingehen.

 

Vorteil 8: Die einheitliche juristische Staatsprüfung dient als zusätzlicher Maßstab für die Ausbildungsqualität der Hochschulen. Sie verhindert einen Wettkampf der Hochschulen über die Vergabe guter Noten.

Die Bucerius Law School in Hamburg, Deutschlands erste und einzige private Hochschule für Rechtswissenschaft, kann zur Zeit die ersten Staatsexamensabsolventen mit hervorragenden Ergebnissen vorweisen. Wie wäre es jedoch, wenn es keine Staatsprüfung gäbe, sondern lediglich Bachelor- und Masterabschlüsse dieser Hochschule, die von ihren Studierenden EUR 9.000,- Studiengebühren pro Jahr verlangt? Sicher würde der Vorwurf erhoben, dass man denen, die soviel Geld bezahlen, im Gegenzug auch gute Noten geben müsse.

Ein einheitliches juristisches Staatsexamen verhindert derartige Probleme schon im Ansatz. Die durchschnittliche Examensnote der Absolventen wird in der Langzeitbetrachtung auch Rückschlüsse auf die Qualität der Hochschulausbildung und vor allem den Wert ihrer Noten zulassen. Davon profitieren nicht zuletzt die Studierenden, die individuell ein eher schlechtes Examen machen: Kommen sie dennoch mit gutem Baccalaureus von einer renommierten Hochschule, dann wird ihnen dieser Abschluss den Berufseinstieg erleichtern.

 

Vorteil 9: Der Magister-Abschluss gibt den Hochschulen die nötige Freiheit zur weiteren Profilbildung und erhöht die Internationalität des Studiums.

Während das grundständige Studium vor allem (aber nicht nur) auf die Inhalte der einheitlichen juristischen Staatsprüfung vorbereiten muss, eröffnet das Magisterstudium den Hochschulen ein besonders hohes Maß an Wissenschaftlichkeit und Kreativität. Hier können internationale Kontakte vertieft, Spezialisierungen herausgebildet und insbesondere auch der besonders begabte wissenschaftliche Nachwuchs gefördert werden. Eine geringere Zahl von Magisterstudenten erlaubt eine stärkere wissenschaftliche Ausrichtung, ein noch höheres Anforderungspotential und eine bessere Betreuung der Studierenden.

Modulare Baccalaureus- und Magisterstudiengänge stehen im Rahmen der Anrechnung nach dem ECTS-System auch ausländischen Studierenden offen, so dass diese zum festen Bestandteil des Studiums der deutschen Juristen werden. Lernpsychologisch dürfte es die beste Vorbereitung auf die eigene Prüfung und die spätere berufliche Tätigkeit sein, wenn dem französischen Nachbarn in der Vorlesung das deutsche Abstraktionsprinzip oder dem polnischen Kommilitonen das System des Erlaubnistatbestandsirrtums erklärt werden muss. Die Rechtsvergleichung würde damit im Dialog der Studierenden zum wichtigen Element des Jurastudiums. Dadurch erhöht sich die Qualität der juristischen Ausbildung praktisch von selbst und ohne zusätzliche Kosten. Hier werden die Vorzüge des Bologna-Prozesses auch für die rein deutsche Juristenausbildung deutlich.

 

Vorteil 10: Das 4-Stufen-Modell könnte schnell umgesetzt werden.

Obwohl das hier vorgestellte Konzept die deutsche Juristenausbildung neu strukturiert, sind die meisten Bestandteile bereits vorhanden. Aus dem vierjährigen Studium ohne Hochschulabschluss wird ein Baccalaureus-Studium, aus dem Schwerpunktbereichen werden Magister-Studiengänge, das Staatsexamen ließe sich schnell reorganisieren und in der praktischen Ausbildung würde sich vor allem die Präsenz der Referendare drastisch erhöhen.

Es gibt also keinen Grund, wegen zu großer Umsetzungs-schwierigkeiten von einer Reform Abstand zu nehmen, die im Interesse aller Beteiligten ist. Es gibt auch keinen besseren Zeitpunkt. Bologna ist nicht der alleinige Grund für die Reform, aber ein idealer Anlass.

 

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